London, Herbst 2005. Auf dem Weg von einer Theateraufführung nach Hause gerät John Smith ins Grübeln und erkennt, dass sein Leben eine radikale Veränderung braucht. Aber was für eine?
John lief ein letztes Mal auf die Bühne, um sich vor dem applaudierenden Publikum zu verbeugen. Das war die letzte Aufführung dieser Produktion gewesen, was bedeutete, dass John ab heute wieder „frei“ war. Jetzt konnte er entweder nach einem neuen Arrangement suchen oder das tun, was er sich schon länger im Geheimen wünschte: aufhören. Keinen neuen Vertrag unterschreiben. Der Theaterwelt den Rücken kehren. Zumindest für eine Weile. Für immer aufhören würde er wohl nicht können. Mit Mitte 40 war er noch zu jung für die Pension und, um irgendeinen völlig anderen Beruf zu ergreifen, liebte er das Theater einfach zu sehr. Er liebte es, auf der Bühne zu stehen, er liebte es, zu singen, er liebte die Kostüme und die Möglichkeit zumindest für ein paar Stunden jemand anderer zu sein.
Vielleicht hatte er ja genau deshalb nie ganz aufgehört in Musicals mitzuspielen, obwohl er in den letzten Jahren vermehrt bei Produktionen von ziemlich ernsten, tiefgründigen Theaterstücken mitgewirkt hatte. Das Musical hatte ihm immer die Möglichkeit gegeben in eine Welt zu flüchten, in der es meistens ein Happy-End gab und in der die Leute einfach in jeder Situation anfangen konnten zu singen, egal ob es gerade angebracht war oder nicht. Selbst um sie herum gerade eine grausame Schlacht tobte, fingen Musicalcharaktere an zu singen und zu tanzen. Das würde in dieser Form in der Realität nie vorkommen, aber es war irgendwie schön.
Doch Johns Leben hatte bereits so viele dramatische Wendungen genommen, da hielt er es nicht dauerhaft in der scheinbar so perfekten Welt des Musicals aus. Manchmal musste er auch seine dunkle, tragische Seite befriedigen und dann spielte er in Stücken mit, die die Zuschauer entweder schockierten oder so deprimierten, dass sie das Theater mit Tränen in den Augen verließen. Das hatte ihm den Ruf als einen der wandlungsfähigsten Schauspieler Londons eingebracht... und ihn davor bewahrt irgendwann durchzudrehen und vielleicht die Kontrolle über sich zu verlieren, was mit Sicherheit fatale Folgen gehabt hätte.
Sowohl die Kritik als auch das Publikum waren sich einig, dass John inzwischen zu den ganz Großen der Londoner Theaterszene gehörte, doch John wusste, dass er den Höhepunkt seiner Karriere bereits hinter sich hatte.
Als Miriam gestorben war, hatte sie eine Leere hinterlassen, die John damals nur mit Arbeit füllen hatte können. In den Monaten nach ihrem hatte John seine Fähigkeiten perfektioniert.
Allerdings gelang es ihm nie das Loch, das sie hinterlassen hatte, ganz zu stopfen. Zumindest nicht mit Arbeit, denn nach einiger Zeit hatte er erkannt, dass im Leben wichtigeres gab, als einen schwierigen Ton zu treffen oder eine Rolle glaubhaft verkörpern zu können.